Stammbuch von Tatjana Scheller

Meine Großmutter Wera Schelske (geb. 1912) hat mir erzählt, dass ihr Großvater Jogann Loos aus Hessen als Theologe nach Rußland kam. 1886, während der Überfahrt, wurde meine Urgroßmutter Margarita Loos geboren, die Christian Schelske aus Bessarabien heiratete.

Die Familie ließ sich in der deutschen Kolonie Eigenfeld/Region Krasnodar nieder und durch ihren Fleiß bildete sie ihren Wohlstand auf. Meine Großmutter, die im Mai 1912 das Licht der Welt erblickt hatte, ging zur deutschen Grundschule in Krasnodar und dann widmete sie viel Zeit dem Selbststudium. 1931 heiratete sie Jogann Scheller (geb. 1908) und im Dezember desselben Jahres wurde meine Mutter Ludmila geboren.

 

In den Wirren der Kollektivierung und Enteignung der deutschen Großbauer trennte sich leider meine Großmutter vom Großvater Johann, um das Kind und ihren jüngeren Bruder Friedrich (geb. 1923) vor dem Hunger retten zu können. Es gelang der Großmutter, die bolschewistische (linksextremistische) Staatspolizei anzuführen, die die deutschen Kolonien und Ansiedlungsgebiete in der UdSSR streng überwachte. Sie verschaffte ein ärztliches Attest, dass meine Mutter an Malaria litt und dem Kind geboten war, ins entsprechende Schonungsklimagebiet zu übersiedeln. So kamen sie ins Dorf Mamontowka im Gebiet Moskau, wo der Familie ein kleines Holzhäuschen mit dem 200 m2-großen Obstgarten zuerkannt wurde.

Mit dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges heiratete meine Großmutter einen Russen und übernahm den Nachnamen ihres Mannes, um der Deportation zu entkommen und so faktisch nochmals das Leben meiner Mutter rettete. Nach dem Erlaß des Diktators Josef Stalin vom 7. Oktober 1942 wurden die deutschen Frauen in den Konzentrationsarbeitslagern eingesperrt und die minderjährigen Kinder zu Waisenhäusern fortgeschafft…

Mein Großonkel Friedrich entschied sich, allerdings, gegen den Faschismus zu kämpfen. Allerdings 1942 wurde ihm vom Wehrkommando als dem „deutschen Staatsfeind“ das sibirische Arbeitsvernichtungslager zugewiesen. Er flüchtete und nach vielen Abenteuern schrieb sich als Freiwilliger unter dem russischen Tarnnamen Fedor Iwanow in die an der Front kämpfende sowjetische Armee ein. Für seine Tapferkeit wurde er mit vielen Medaillen und Orden ausgezeichnet. Nach seiner Demobilisierung offenbarte er seinen Trick. Unglaublich, aber er wurde dafür nicht bestraft und konnte sogar wieder seine echte Vor- und Nachnamen in seinen Pass eintragen! Seine Kinder und Enkelkinder tragen den Nachnamen Schelske. Am Mute hängt der Erfolg!

Aus dem Archiv der sowjetischen Geheimpolizei bekam ich die Bescheinigung, dass mein Großvater Jogann Scheller im sowjetischen KZ zu Grunde gegangen ist…

 

Familienfotos
 

               Ururgroßvater Jogann Loos Ururgroßmutter Ekaterina-Hertruda

 

 

in der Mitte: Jogann Loos mit seiner Frau Ekaterina-Hertruda
links: Urgroßonkel Theodor mit seiner Frau und Sohn
rechts: Urgroßtanten Lydia, Elisaweta, Ekaterina
stehen: Christian Schelske mit seiner Frau Margarita (geb. Loos)

 


oben: Christian Schelske mit seiner Frau Margarita und meiner Großmutter Wera Schelske als Kleinkind
unten: mein Großonkel Wilhelm mit verschwägerten Großtanten

 

Großmutter Wera mit seinem Vater Christian Schelske

 

                                           

 

Wilhelm Schelske… und sein Bruder Paul im Flugzeug

 

 

Meine Mutter Ludmila Scheller (Foto aus dem Jahr 1940)

 

Friedrich Schelske mit seiner Mutter Margarita Loos (Foto aus dem Jahr 1941)

 

Friedrich Schelske mit seiner Tochter Anna (geb. 1959)