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Helmut Eichmann ist besorgt:
Dem Pyrmonter Volkstrauertag bricht der Brückenpfeiler nach Russland weg

Dienstag 14. Dezember 2021 - Chimki / Moskau / Bad Pyrmont (wbn). Dem deutsch-russischen Projekt der Völkerverständigung droht aus Sicht des Vorsitzenden des Volksbundes der Kriegsgräberfürsorge in Bad Pyrmont Helmut Eichmann ein empfindlicher Rückschlag.

Sein wichtigster Kontaktmann in der russischen Stadt Chimki Vladimir Anzukov – Eichmann nennt ihn freundschaftlich Waldemar – ist in große Schwierigkeiten geraten. Das bevorstehende Weihnachtsfest für Vladimir Anzukov ist nämlich überschattet von den Sorgen um den Erhalt des „Deutsch-Russischen Zentrums“ in Chimki in der Oblast Moskau. Völlig unerwartet hat Helmut Eichmanns Freund und wichtigste Kontaktperson zu dem russischen Kulturzentrum die Mitteilung über die bevorstehende Kündigung des Mietverhältnisses mit der Stadtverwaltung in Chimki erhalten.

Es wäre geradezu die willkürliche Zerstörung eines Lebenswerkes

Damit würde Anzukov vor der Zerstörung seines Lebenswerkes stehen, denn er hat ehrenamtlich mit seinen deutsch-russischen Freunden viel Zeit geopfert und selbst nicht wenig Geld investiert in die Renovierung und würdige Ausstattung der Räumlichkeiten, die auch zum Inbegriff der russisch-deutschen Völkerverständigung in dieser wichtigen Region bei Moskau geworden sind.

(Zum Bild: Vladimir Anzukov - Dritter von links - mit seinen Freunden vor dem deutsch-russischen Denkmal im Garten des Kulturzentrums in Chimki. Direkt neben ihm ist der Kulturattachée Guido Kemmerling zu sehen. Bild unten: Das Portal zum Deutsch-russischen Kulturzentrum. Foto: Privat)

Es finden viele Kulturveranstaltungen statt und einer der jährlichen Höhepunkte ist die auch international gewürdigte Präsenz einer Chimki-Delegation beim Volkstrauertag vor dem Schloss in Bad Pyrmont.

Da legen die Russlanddeutschen regelmässig ihre Kränze nieder und haben mit mehr als 2.150 Kilometer die weiteste Anreise nach Bad Pyrmont. Helmut Eichmann hatte schon bei der diesjährigen Feier gemerkt, dass Waldemar einen bedrückten Eindruck hinterlassen hat.

Groteske Situation: Es droht eine Versteigerung

(Zum Bild: Helmut Eichmann auf seinem Friedensmarsch in einem russischen Kloster. Er lebt die deutsch-russische Völkerfreundschaft. Foto: Privat) Ein Freund gab zu verstehen: „Anzukov hatte die Nachricht erhalten, dass die Räumlichkeiten des Deutsch-Russischen Kulturzentrums versteigert werden sollen.“ Und weiter: „Die zahlreichen Telefonate, Briefe der Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie des weltberühmten russland-deutschen Schriftstellers Hugo Wormsbecher, haben bislang bei den zuständigen Behörden leider kein Gehör gefunden.“ Das Gebäude, in dem die kulturellen Räume untergebracht sind, soll wohl zu Geld gemacht werden – und damit kurzerhand die liebevoll aufgewerteten Räumlichkeiten des Kulturzentrums. Eine Perspektive, wohin dieser Kulturkreis ausweichen könnte, ist auch nicht aufgezeigt worden.

Bis zuletzt hatte Waldemar wohl gehofft, dass all dies ein Irrtum seitens der Behörden sein müsse, zumal auch vor Ort in Chimki von oberster Stelle die Arbeit des Kulturzentrums als lebendiger Beweis einer aktiven Völkerverständigung gesehen wurde. Mehr als 100 Mitglieder zählt dieses Zentrum, dessen Gartenanlage mit einem Gedenkstein versehen ist vor dem sich immer wieder russische Gäste fotografieren lassen.

Die Deutschen gelten als Mitbegründer

Der Russlandkenner und Orientalist in Dortmund Dr. Walther Friesen hat sich noch im August beeindruckt gezeigt von der am 28. August 2021 in Chimki durchgeführten Veranstaltung zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Deportation der Deutschen in der UdSSR. Diese fiel mit dem 300-jährigen Jubiläum der Entstehung der verbrieften weitgehenden Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus zusammen.

Friesen hat in der Szene der Russlanddeutschen einen herausragenden Ruf. Dr. Walther Friesen ist Vorsitzender des Ausbildungs- und Forschungszentrums Ethnos e.V. in der Integrationsgemeinschaft Dortmund Silberborne. Friesen holt etwas aus: „Am 28. August – 10. September, nach gregorianischem Kalender – 1721, unterzeichnete der gebürtige Bochumer Heinrich Johann Friedrich Ostermann im Namen des Zaren Peter I. den Frieden von Nystad, der den 20-jährigen Krieg (1700–1721) beendete. Und Livland, vertreten durch die Livländischen Ritterschaften des Deutschen Ordens, vereinigte sich mit dem Zarentum Rus. Das war die Gründungsstunde des neuen Staatwesens Eurasiens – des Imperiums der Rossen. Mehrere Zehntausende von Deutschen Livlands waren zu Untertanen und Bürgern des größten zusammenhängenden Staates der Geschichte geworden. Berechtigt können die Deutschen als seine Mitbegründer gelten!“

Und weiter: „Bis 1918 verfügten die Deutschen des Ostseegouvernements über eine beträchtliche Autonomie und behielten bis zum Ende ihrer Existenz ein unabhängiges Rechtssystem. Die am 19. Oktober 1918 gegründete Arbeitskommune der Wolgadeutschen - ab 6. Januar 1924 – die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen - innerhalb der Sowjetunion war die Umsetzung des gewohnheitsrechtlichen autonomen Status der Deutschen unter den neuen sozial-politischen Umständen. Diese „Deutsche Wolga-Republik“ existierte bis zum 28. August 1941 als nach dem Überfall des Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion alle „Sowjetdeutschen“ aus dem europäischen Teil dieses Landes nach Sibirien, Kasachstan, hohen Norden gewaltsam deportiert wurden. Mehr als ein Drittel der Deportierten starben unterwegs und wegen der unmenschlichen Existenzbedingungen.“

Leiter der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft zu Gast

Guido Kemmerling, Leiter der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft in Moskau, hatte in diesem Jahr Blumen an dem Gedenkstein vor dem Deutsch-Russischen Kulturzentrum niedergelegt und damit auch von deutscher Seite die uneigennützige Arbeit von Vladimir Anzukov und seinen Freunden gewürdigt. Helmut Eichmann war ebenfalls gern gesehener Gast dieser Einrichtung in Chimki. Jedes Gedenken braucht seine verlässliche Adresse. Das ist gerade auch die Grundlage der alljährlichen Veranstaltungen zum Volkstrauertag an den Gedenkorten – nicht nur in Deutschland.

Helmut Eichmann will seinen Freunden in Russland helfen – und hat dazu auch den Bürgermeister der Stadt Bad Pyrmont angesprochen. Pyrmont, das auch eine wichtige Station des russischen Zaren auf dessen Europareise gewesen war und immer wieder auch Sehnsuchtsort prominenter Russen gewesen ist. Helmut Eichmann zu den Weserbergland-Nachrichten.de: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass da in Chimki das letzte Wort gesprochen worden ist. Eine Gedenkstätte und ein Kulturzentrum, das Dreh- und Angelpunkt deutsch-russischer Verständigung ist, kann kein Gegenstand einer Versteigerung sein“. Und nach einer kurzen Pause: „Kultur und Völkerfreundschaft lässt sich nicht versteigern, um nicht zu sagen, einfach so verhökern.“

Eichmann will jetzt auch mit dem einflussreichen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Schraps nochmal sprechen, der immer wieder am Mahnmal zum Volkstrauertag Präsenz zeigt.

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